"Fast das Lästigste an den Lastern ist,
daß der Prediger sie nicht merkt." Rudolf
Bohren, Predigtlehre, S.402
> Sieben sozusagen angeborene Laster der Prediger
1. Korrektheit 2. Mutlosigkeit
und Feigheit 3. Langeweile 4.
Bequemlichkeit und Faulheit 5. Geschwätzigkeit
6. Selbstgefälligkeit 7.
Gefallsucht
> Das Laster im Detail - unser "Predigt-Pranger"
1. Die "Sprache Kanaans"
2. Falsche Pauschalisierungen
3. "Heiße Kartoffeln" 4.
Pathetische Gemeinplätze und mangelnde Konkretion
5. Die unvermeidliche Floskel 6.
Falsche Prophetie oder Unterstellung 7. Den Teufel
an die Wand predigen 8. Tunnelpredigten
9. Aus den Wolken reden 10.
Mangelnde Stimmigkeit 11. Konnotationen mißachten
12. Schein-Objektivität
13. Kitsch 14. Wortgötzen
15. Die Heiligen
Sieben sozusagen angeborene Laster der Prediger
Predigtlaster sind nicht als mangelnde Begabung, sondern als Fehlverhalten
des Predigers zu verstehen. Dieses Fehlverhalten ist einerseits durch
seine soziale Stellung bedingt, andererseits durch ungenügende Meditation.
1. Korrektheit
Der Prediger läßt sich von den Regeln beherrschen, statt
daß er sie beherrscht. Korrekte Predigt sind unfrei und ohne befreiende
Kraft.
2. Mutlosigkeit und Feigheit
Dem ängstlichen Prediger wird sein Predigen darum kaum zur Freude,
weil er seine Angst nicht zu überwinden vermag. Der Mutlose vermag
nie zu sagen, was Gott jetzt und hier tut, weil er Gott nicht wagt.
3. Langeweile
Jeder Prediger ist als beschränktes Wesen, als endlicher Mensch
ein geborener Langeweiler - sobald er gezwungen ist lange zu reden. Das
Beste aus seiner Beschränktheit zu machen, nennen wir Fleiß.
Der Fleiß des beschränkten Predigers besteht darin, am richtigen
Ort das richtige für seine Predigt zu stehlen.
4. Bequemlichkeit und Faulheit
Die Faulheit des Predigers tarnt sich heute gern mit Überbeschäftigung,
die sich nicht Zeit nimmt zur Meditation und Vorbereitung der Predigt.
Es soll Prediger geben, deren Faulheit es sich nicht einmal leistet,
einen freien Tag zu machen, um die Freuden des Sabbats zu genießen;
das könnte zum Nachdenken führen, und Denken ist unbequem.
5. Geschwätzigkeit
"Wat jestrichen is, kann nicht durchfalln" (Otto Brahms).
Geschwätzigkeit ist ein Kind der Faulheit und der Mutlosigkeit.
6. Selbstgefälligkeit
Der Prediger macht sich selbst zu seinem Gott. Echte Demut verdrängt
das Selbstbewußtsein nicht, stellt es aber unter die Gnade. Die
Freude am Gelingen wird dann Dankbarkeit zur Folge haben und nicht Stolz.
7. Gefallsucht
Sie verkauft den Prediger an die Hörer und versucht, die Hörer
für sich zu gewinnen. Sie werden zum Gott des Predigers. Warnung
vor den Kasualien! In der Gefallsucht vermag sich gleicherweise Selbstgefälligkeit
wie Feigheit zu potenzieren.
Das Laster im Detail - unser "Predigt-Pranger"
(Top)
"Leider haben die Laster den Hang zur Kumulation
in sich." R. Bohren
Wenn sie bei sich selbst oder anderswo ein Laster
(einen typischen Fehler) oder ein anschauliches Beispiel für hier
katalogisierte Laster entdecken, die wir noch nicht vorgestellt haben:
prangern sie es an!
1. Die "Sprache Kanaans"
Ein wohlbekanntes Phänomen, sollte man meinen. Wo im frommen Jargon,
in der Sprache der alten Lutherbibel geredet und die aus der Sprache längst
ausgewanderten grammatikalischen Endungen munter weitergebraucht werden,
besteht neben der Gefahr der Unverständlichkeit für nicht Eingeweihte
die weitere Gefahr der gedanklichen Unklarheit: Ich benutze u.U. Begriffe,
die Klarheit suggerieren, bei näherem Hinschauen aber alles andere
als klar sind (z.B. Heil, Sünde, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit).
Beispiele: "Vor dem Angesicht des Herrn" treten
wir zusammen, am Ende wünschen wir ein "behütetes Nachhausekommen".
Wir haben keine Bitten, sondern "Anliegen". Wir "finden
ein volles Ja" zu unserem "Dienst", was unsere "Freudigkeit"
steigert. Dabei wissen wir alle, wer der "reiche Jüngling"
und die "blutflüssige Frau" waren. "Die Epheser"
sind uns so vertraut wie der FC Bayern.
2. Falsche Pauschalisierungen
Sie finden sich gerade in christologischen und ekklesiologischen Aussagen
gerne. Stehen solche Richtigkeiten kontextlos da, erweisen sie sich theologisch
und homiletisch als falsch. Auch die falsche Alternative - die vielleicht
etwas richtiges meint, aber etwas falsches sagt - ist dazuzurechnen.
Beispiele: "Er hat uns befreit von allen irdischen
Klammern." "Wer wirklich glaubt, wer
wirklich liebt - dem machen Schreckensbilder nicht den geringsten Eindruck.
Warum nicht? Weil die Liebe stärker ist..." Falsche Alternative:
"Buße ist nicht privat, sondern politisch-geschichtlich, nicht
individuell, sondern soziologisch gemeint."
3. "Heiße Kartoffeln"
Heiße Kartoffeln sind kurz angetippte, rasch wieder verlassene "Seitenthemen".
Oft wollten wir gerne dieses oder jenes noch sagen, und widmen ihm also
wenigstens einen Halbsatz. Damit werden wir aber dem Gewicht diesen Themen
nicht gerecht, leisten uns unter Umständen verletzende oder irritierende
Verkürzungen und tragen so zur Ablenkung der Höreraufmerksamkeit
bei. "Heiße Kartoffeln" finden sich besonders in ethischen
Predigt. Sie verraten auch, daß der Prediger sich in der Vorbereitung
nicht wirklich auf ein Thema konzentriert hat.
4. Pathetische Gemeinplätze und mangelnde
Konkretion
Gemeinplätze passen auf ihre Weise zu jedem Text, bleibt nur die
Frage, ob der jeweilige Text auch zu den Gemeinplätzen paßt.
Gemeinplätze weichen dem Evangelium aus, das immer ein je Bestimmtes
sagen will; sie sind feige. Sprachhülsen versuchen Konkretheit vorzuspielen
und einen Mangel an Lebensnähe zu verbergen. Nach Peter Bukowski
gehört hierher die beliebte Predigtfigur der Reihungen (mit meist
in den Plural gesetzen Begriffen).
Beispiele: "Wir stehen alle gemeinsam in den großen
Zusammenhängen dieser Welt." "Noch nie waren wir so klug
wie heute." "Nöte, Ängste, Sorgen und Probleme haben
wir alle".
5. Die unvermeidliche Floskel
"Das, woran wir glauben sollen, ist etwas Gegenwärtiges;
denn in seinem Wort ist Christus auch heute noch unter uns lebendig."
Dabei soll nicht eine sprachliche Wendung an sich diskriminiert werden,
sondern ihr unreflektierter Gebrauch, ihre floskelhafte Verwendung. Bei
der hier kritisierten Wendung ist Christus zwar heute noch unter uns lebendig,
morgen oder übermorgen aber vielleicht schon tot. "Auch heute
noch" muß so laut tönen, weil es die Konkretion ersetzt.
Eine ähnliche Floskel: "Das gilt auch hier und
heute ganz konkret."
6. Falsche Prophetie oder Unterstellung
Die Unterstellung liebt die alles umschließende Redeweise. Wenn
Jesus wußte, was im Menschen war (Joh 2,25), so wissen es manche
Prediger - wenn man ihren Worten glauben darf - noch besser. Die Selbstsicherheit
eines solchen falschen Propheten ist eine nur scheinbare, die sich hinter
einem "wir" versteckt. Mit dem "wir" verzichtet der
Prediger darauf, selber etwas zu sagen. Genauso kann er sich auch hinter
dem jeweiligen Sonntag des Kirchenjahrs verkriechen (besonders den hohen
Festtagen) usw.
Beispiel: "Wir gehen in jeden Gottesdienst mit zwei
Fragen, die uns innerlich bewegen..." "Damit schlagen wir uns
jeden Tag herum." Mk 5: "Stellen wir uns die Szene vor ... Sicherlich
haben wir doch alle Mitleid mit dieser jahrelang von der Krankheit geplagten
Frau." "Wir haben doch nie Zeit für andere Menschen, für
das Gebet, für den leidenden Nächsten." "Sind wir
nicht alle immer wieder selbstsüchtig?" "Jeder Mensch möchte
am liebsten durch ein Wunder zum Glauben finden"
7. Den Teufel an die Wand predigen
Viele Prediger beginnen ihre Predigt mit einer Negation, einer Art Krankmeldung
des Textes oder der Hörer des Predigers. Doch wer diagnostisch anfängt,
kommt in der Regel nicht zur Botschaft. Nach Erkenntnissen der Kommunikationsforschung
tendiert die zuerst gegebenen Darstellung zur Überlegenheit über
die folgende, wenn zwei gegensätzliche Informationen von einem einzelnen
Kommunikator gegeben werden.
Auch können solche Versuche der Solidarisierung als mißglückte
Anbiederung empfunden werden. In einer Zeit, in der die Prediger unter
Erfolglosigkeit leiden, wird ihre Depression umso leichter das Sprachfeld
der Predigt beherrschen, als die Prediger ihre persönlichen Probleme
verdrängen und so ihre Teufel an die Wand predigen.
Beispiele: "Von allen Festen des alten Kirchenjahres
hat es da Himmelfahrtsfest am schwersten." "Die Weihnachtsbotschaft
ist uns nicht Neues. Wir haben sie von Kindheit an gehört."
8. Tunnelpredigten
Eine besonders ausgeprägte Gestalt des zuvor genannten Predigtlasters
ist die "Tunnelpredigt" (Walter Jens). Der Prediger gräbt
sich immer tiefer ins Erdreich hinein, um die Verderbtheit der Welt zu
beschwören. Je nach theologischem Programm macht er sie fest an Gottlosigkeit
oder Verletzung der Menschenrechte, an Bibelvergessenheit, Abtreibung
oder Ausländerhass. Und dann auf einmal ist der Tiefpunkt erreicht,
es folgt der jähe Umschlag vom Schatten zum Licht (und die Schläfer
in der Gemeinde, erfahrene Kenner der Tunnelpredigt wachen auf).
Die Tunnelpredigt ist Schwundform der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium,
weil sie sie mit schwarz und weiß verwechselt.
9. Aus den Wolken reden
Der Prediger, der allen gerecht werden möchte, wird dadurch ungerecht.
Im Bestreben, alle anzusprechen, begibt er sich in die Rolle des Weltenrichters;
gottgleich spricht er aus einer Wolke, die über allen Parteien steht.
Doch demonstriert er damit nur seine Ohnmacht, denn er vermag keine Weisung
zu geben in der konkreten Situation. Gottes Gebot wird so zu einer allgemeinen
Richtigkeit und verliert die Stimme. (Hoffen wir, daß solch ein
Prediger bald aus allen Wolken fällt!)
Beispiel: "Die Liebe zur Welt fordert unseren ganzen
Einsatz. Er kann sich im Mitmachen und Ja-Sagen äußern, aber
auch im Widerspruch und in der Demonstration. Die Kriegsdienstverweigerer
und diejenigen, die ganz für die Bundeswehr eintreten, beide wollen
die Welt vor einem neuen Krieg bewahren. - Nun werden sich wieder einige
nicht angesprochen fühlen, weil sie sich von der Politik fernhalten.
Aber die Sendung Christi führt auch in unsere kleine Alltagswelt
..."
10. Mangelnde Stimmigkeit
Ist z.B. eine Metapher eine Spur daneben geraten, lenkt sie den Hörer
ab, der damit den Predigtfluß verläßt und der "komischen"
Metapher hinterherdenkt. Eine besonders schwierige und verstörende
Weise mangelnder Stimmigkeit ist der emotionale double-bind: in
einem Satz wird Widersprüchliches zum Ausdruck gebracht. Dies verrät
oft eine Unklarheit bei dem Prediger. Auch das Mißachten der Spielregeln
bestimmter Sprechakte kann dazugehören. Ein Sprechakt der Erlaubnis
z.B. setzt die Möglichkeit voraus, sich dankend zu verweigern. Werden
wir "zur Umkehr eingeladen" wird die Verbindlichkeit des Rufes
Jesu aber unterschlagen.
Beispiele: "Der junge Inder, dem ich das Evangelium
bezeugte, wollte mich adoptieren..." "Als dieser, der den Menschen
mit sich selber, in der Begegnung mit ihm es eröffnen will und kann,
Gott so zu lieben, wie es ihn ehrt, ... steht Jesus vor den Juden und
ruft ihnen verzweifelt und in göttlichem Zorn die heilbringenden
Worte von der Gottesliebe zu." "Wir werden
zur Umkehr eingeladen" "...damit wir auch bereit sind, unserem
Nächsten diese Wünsche zuzusprechen".
11. Konnotationen mißachten
Neben den allgemein gültigen Definitionen besitzen Begriffe individuelle
oder milieuspezifisch differente "Nebendefinitionen", die einem
Wort unter Umständen eine ganze andere Färbung geben als beabsichtigt.
"Leistung" z.B. ist bei Geschäftsleuten durchaus positiv
besetzt. Besonders bedeutsam ist dieses Phänomen in der Rede von
Gott als unserem Vater: dem einen wird bei dieser Vorstellung warm ums
Herz, während sie dem anderen die Hand zur Faust ballt.
12. Schein-Objektivität
Wörter sind gespeicherte Vorurteile. Der Prediger sollte wissen,
daß es "parteiliche Wörter" gibt.
Beispiele: "Nicht-Raucher" (das Rauchen ist
die Regel), "Nicht-Theologen", "Laien" (DIe Amateure?),
"Freiwillige" (Tun es die anderen unter Zwang?)
13. Kitsch
Der Kitschautor benötigt die "Kumulation der Effekte" (Walther
Killy), weil er dem Worte mißtraut. Kitsch gedeiht, wo die Gottesfurcht
fehlt. Er ist die Sprache des sich selbst verleugnenden Unglaubens.
Beispiel: "Die ganze Leidenschaft, die so gut gemeinte,
heute um Formeln zu streiten, um die Gottessohnschaft Jesu, um die Jungfrauengeburt
und anderes, ist blind verschossenes Pulver. Völlig belanglos. So
hat und kriegt man Jesus nicht. Wozu verpflichtet den eine Formel? Zum
Streit. Was velangt ein theologischer Satz? Nichts. Seht auf Jesus. Wenn
einer mit Fragen und Sorgen zu ihn kam, was sagt er?..."
Zur Unstimmigkeit der Sprache gesellen sich hier die Lieblosigkeit
im Umgang mit Gegnern einerseits wie andererseits ein enthusiastisches
Reden von der Liebe. An dieser typischen Schizophrenie haben wir als Glieder
einer Kirche teil, die sich Kirche des Wortes nennt, mit dem Worte aber
zerfallen ist. Daher bedürfen wir der Meditation!
14. Wortgötzen
Große Worte steigen auf zu personifizierten Größen, die
götzenartige Bedeutung annehmen. Wer das jeweils ist, hängt
von der Neigung und Weltsicht, von Theologie und Frömmigkeit des
Predigers ab. Sie gehören auf den Prüfstand: Wer spricht da
eigentlich? Und wird zurecht postuliert? Wen und wessen Interessen verschleiert
hier solches Reden?
Beispiele: Freiheit, der moderne Mensch, das Denken unserer
Zeit, der Zeitgeist, Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung,
Ellenbogenmentalität, Versöhnung, Betroffenheit oder
auch "ein Stück weit"
15. Die Heiligen
Evangelische Predigt pflegen immer dieselben Heiligen auf die Kanzel
zu zerren. Die Hitparade umfaßt gerade mal Schweitzer, Bonhoeffer,
Gandhi, Niemöller, Luther (bei Evangelikalen noch Wilhem Busch, bei
Liberalen gerne Goethe) und als einzige Frau Mutter Theresa. Von diesen
Heiligen wird immer dasselbe erzählt, sie werden auf Klischees reduziert.
Die vielen kleinen Leute in der "Wolke der Zeugen kommen nicht vor".
Schauen sie mal, wer dagegen alles in den Gleichnissen Jesu zu Worte kommt!
>> Wenn sie bei sich selbst oder anderswo ein Laster
(einen typischen Fehler) oder ein anschauliches Beispiel für hier
katalogisierte Laster entdecken, die wir noch nicht vorgestellt haben:
prangern sie es an!
Quellen:
Rudolf Bohren, Predigtlehre (Gütersloh 1980)
"Das Buch ist nicht nur lesbar, es ist im eigentlichen Sinne
spannend. Bohren ist Prediger aus Leidenschaft. Das spürt man
seinem Werk an." Neue Zürcher Zeitung
>> Exzerpt
(inklusive aller Leitsätze) von ekir.de/vikarinnen
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>> Weitere Literatur zum Thema
Gottesdienst.
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