24.08.02 10:23 Type" CONTENT="text/html; charset=windows-1252"> Martin Luther, Vom unfreien Willen

Martin Luther, Vom unfreien Willen

(Stichpunkte nach: Martin Luther, Die Hauptschriften, 3.Aufl., Berlin o.J., S.146-207 (gekürzte Fassung))

1. Die Frage fester Behauptungen

- zu Erasmus' Skepsis gegenüber festen Behauptungen: "der Christ muß sich an festen Behauptungen freuen" (S.149). Das gilt nur von den festen Behauptungen, die Gott in der Schrift gegeben hat; feste Behauptungen darüber hinaus sind töricht und gottlos. "Gibt es etwas erbärmlicheres als die Ungewißheit?" (S.150). "Der heilige Geist ist kein Skeptiker und schrieb ... in unser Herz ... sichere Behauptungen" (S.152).

- Auch die Satzungen der Kirche sind zu hinterfragen!

- Etwas verstehen heißt nicht, es völlig durchschaut zu haben, sondern es entschieden zu erfassen und nicht mehr wie ein Skeptiker daran zu zweifeln. Wer Gott verstanden hat, hat alles verstanden, wer ihn nicht versteht, kann auch keine Kreatur verstehen (S.151).

2. Die Klarheit der Schrift

- "Gott und die Schrift Gottes sind zwei Dinge". In Gott gibt es für uns verborgene Dinge, die wir nicht erkennen können. In der Schrift gibt es aber nichts Unverständliches und Unklares - mit dieser Behauptung macht der Teufel die Bibel verächtlich (S.152)!

- Der sachliche Inhalt der Schrift ist klar: "Christus Gottes Sohn sei Mensch geworden, Gott sei dreifach und einer und Christus habe für uns gelitten und herrsche in Ewigkeit... Tu Christus aus der Schrift hinaus - was ist dort dann noch zu finden?" (S.152). Im Blick auf einzelne dunkle Stellen gilt: "Sind die Worte an der einen Stelle dunkel, so sind sie an der anderen dafür klar... Wenn die Sache selbst im Licht steht, macht es nichts aus, ob einige ihrer Zeichen noch im Dunkeln sind" (S.153).

- Doppelte Klarheit bzw. Dunkelheit der Schrift: Was die äußere Klarheit betrifft, ist durch die Worte der Schrift alles ans Licht gebracht; in bezug auf die innere Klarheit kann ohne den heiligen Geist kein Mensch ein Jota von der Schrift verstehen (S.153).

3. Was bedeutet der menschliche Wille für das Heil?

Es ist "für einen Christen vor allem andern heilsnotwendig zu wissen, ob der Wille dort, wo es um das ewige Heil geht, etwas oder gar nichts vermag" (S.154). Sonst weiß ich ja nicht, "wieviel ich mir und wieviel Gott zuschreiben muß" (S.154).

4. Geschieht alles menschliche Tun aus Notwendigkeit?

Es ist heilsnotwendig zu wissen: Gott sieht nichts zufällig voraus, sondern führt seinen Willen aus, und nichts kann ihn daran hindern. So mag uns alles, was wir tun und uns geschieht, zufällig erscheinen, von Gottes Willen her gesehen geschieht es aber aus Notwendigkeit (S.155).

Leugnet man dies, so sind Gottes Verheißungen und das ganze Evangelium hinfällig; der Trost der Christen ist, daß Gott nicht lügt und man seinem Willen nicht ändern oder ihn aufhalten kann.

5. Gibt es geistliche Dinge, die man vor der Masse nicht erörtern sollte?

Was in der Schrift offenbart ist, dient zum Heil und muß verbreitet und gewußt werden! Wenn Gottes Wort in der Welt auf Widerspruch stößt, muß es um so beharrlicher bekannt werden. Gegen Erasmus' Vorwurf, die Rede von der absoluten Notwendigkeit führe zum Libertinismus: das Evangelium deckt nur die schon vorher vor-handene Bosheit der Gottlosen auf und stärkt die Frommen.

Das Argument, daß bei einer totalen Vorherbestimmung niemand mehr versuchen würde, sein Leben zu bessern, zieht nicht, weil man die Schrift nicht danach beurteilen darf, was die Leute über sie denken. Auch wenn man Gottes Ratschluß nicht versteht, muß man ihn ehrfürchtig anerkennen (Röm. 9,20). Außerdem ist sowieso niemand imstande, sein Leben zu bessern, außer den Erwählten, die der Geist bessert; auch können nur sie an die Liebe Gottes glauben.

Auch schreckt die Lehre von der Erwählung die Leute aus falscher Heilsgewißheit auf und führt sie über die Furcht Gottes zu Gnade und echter Heilsgewißheit.

Zwei Gründe für die Verbreitung dieser Lehre:

a) Um selig zu werden, muß man erst an sich selbst verzweifeln und erkennen, daß das Heil kein bißchen am eigenen Wollen und Vermögen hängt, sondern allein an Gott; dann kann man die Gnade annehmen. So dient diese Lehre zur Demütigung und damit zur Seligkeit der Erwählten.

b) Der Glaube richtet sich auf Dinge, die man nicht sieht (Hebr. 11,1). Das, was wir glauben sollen, verbirgt sich unter dem Schein des Gegenteils: Will uns Gott lebendig machen, tötet er uns, will er uns rechtfertigen, spricht er uns schuldig. "Dies ist die höchste Stufe des Glaubens: glauben, daß der gütig ist, der so wenige selig macht und so viele verdammt..., daß er gerecht ist, der nach seinem Willen uns notwendig verdammungswürdig macht" (S.163). Wäre das Gegenteil der Fall, hätten wir keinen Glauben nötig.

6. Erklärung der Notwendigkeit

"Unser Heil hängt in gar keiner Weise an unserem Vermögen und Planen, sondern allein an Gottes Werk" (S.164/5). Daraus folgt: Wenn nicht Gott in uns am Werk ist, tun wir notwendig nur Böses, das für unser Heil bedeutungslos ist (necessitas immutabilitatis, nicht necessitas coactionis). Wenn aber Gott in uns wirkt, ist unser Wille gewandelt und will und tut das, was Gott will. Der menschliche Wille ist wie ein Reittier zwischen Gott und Satan; esstatt kann nicht einen von beiden als Reiter auswählen, sondern beide "kämpfen darum, wer es gewinnen und behalten möge" (S.165). "... der freie Wille ... kann sich ja von sich aus nicht dem Guten zuwenden" (S.165).

7. Definition des freien Willens

Ein freier Wille kann nach dem Gesagten also nur Gott zugeschrieben werden; der Mensch hat, wenn überhaupt, einen freien Willen nur über das, was niedriger ist als er (Eigentum etc.). Wenn man dem freien Willen eine Kraft zuschreibt, die aber ohne die Gnade nichts vermag, ist er dann überhaupt noch eine Kraft und nicht vielmehr nichtig? Ist das ein freier Wille, der sich von sich aus nur einer Seite zuwenden kann?

8. Schriftstellen, die den Willen des Menschen ansprechen

Wenn eine Schriftstelle den Willen des Menschen anspricht, heißt das nicht, daß der menschliche Wille etwas vermag, sondern es soll ihm sein Unvermögen gezeigt werden. Das Gesetz soll zur Erkenntnis und zum Eingeständnis unserer Schwachheit führen (Röm. 3,20!), gerade weil wir meinen, selbst etwas zu vermögen; nur dann kann das Wort der Gnade zu uns kommen. "... die Folgerung: 'Wenn du willst, kannst du,' ist falsch" (S.186). Die Erkenntnis der Sünde gibt noch nicht die Kraft, sie zu überwinden.

"Das Werk Moses und des Gesetzgebers ist es dagegen, dem Menschen durch das Gesetz sein Elend zu enthüllen, um so den durch die Erkenntnis seiner selbst Betrübten und Verwirrten für die Gnade vorzubereiten und zu Christus zu senden, damit er so gerettet wird" (S.188). Gott will nicht den Tod des Sünders!

9. Gottes offenbarer und verborgener Wille

Doch für welche Menschen Gott dies anordnet, daß sie die Gnade annehmen, nachdem sie ihre Sünde erkannt haben, bleibt seinem verborgenen Willen vorbehalten, den wir nicht erforschen, sondern ehrfürchtig anbeten sollen. Wir haben mit Gott nur insofern zu tun, als er sich uns in seinem Wort anbietet. Wir sollen uns mit dem fleischgewordenen Gott, Jesus, befassen; in ihm haben wir übergenug, was wir wissen und nicht wissen sollen.

"Wenn Gott den Tod nicht will, so ist es unserem Willen zuzuschreiben, wenn wir verloren gehen" (S.191). Der gepredigte Gott will, daß alle Menschen gerettet werden (1.Tim. 2,4). Warum Gott aber die Schuld des Willens nicht in allen wegnimmt, die doch nicht in der Macht des Menschen steht, darf man nicht fragen (Römer 9,20). "... soviel wenigstens müssen wir seiner göttlichen Weisheit schon zugestehen, daß wir auch dort an seine Gerechtigkeit glauben, wo er uns ungerecht erscheint" (S.203).

10. Die Ermahnungen und Gebote der Schrift als angeblicher Beweis für den freien Willen

Die Diatribe vergißt hier ihren eigenen Grundsatz, daß man alles menschliche Streben nicht der eigenen Kraft, sondern nur der Gnade zuschreiben darf. Außerdem ist das "Streben nirgendwo erwiesen, sondern nur gefordert" (S.191). Aus diesen Schriftworten ergibt sich nicht folgerichtig, daß Wollen und Können auch da sein müssen; "was durch Gottes Kraft in uns geschehen kann, wir aber von uns aus nicht tun können, das wird durch solche Sätze gezeigt" (S.195). Sie bezeichen tatsächlich etwas, das geschehen kann, aber aus fremder, göttlicher Kraft.

Das NT besteht aus zwei Teilen: dem Evangelium, in dem uns Geist und Gnade zur Vergebung der Sünden durch den gekreuzigten Christus angeboten werden, sodann aus Ermahnungen, die die Gerechten anspornen sollen, Früchte zu bringen und Liebe zu üben; dies tun sie, weil sie in der Gnade stehen. Diesen Zusammenhang darf man nicht außer acht lassen und solche Worte verallgemeinern.

Der Lohn ist eine Verheißung, die nicht notwendig den freien

Willen voraussetzt. Bei einer necessitas coactionis kann es keinen Lohn geben (kein Lohn für einen Zwangsarbeiter), wohl aber bei einer necessitas immutabilitatis, da man ja das Gute oder Böse will; dies ist unabhängig davon, ob man diesen Willen ändern kann. Der Lohn hängt nicht an der Würdigkeit, sondern ist lediglich die notwendige Folge des Guten oder Bösen.

11. Die Bedeutung des Wortes

Warum fordert uns Gott in seinem Wort zu Dingen auf, die nur er durch seinen Geist in uns tun kann? Antwort: "Es hat Gott so gefallen, nicht ohne das Wort, sondern durch das Wort seinen Geist zu geben" (S.199).

12. Die Frage der Heilsgewißheit

Zwei Gründe, warum Luther gar keinen freien Willen haben und nichts selbst zu seinem Heil beitragen will: einmal weiß er nicht, ob er es durch alle Widerwärtigkeiten hindurch festhalten kann, zum anderen wüßte sein Gewissen nie, ob es jetzt genug getan hat. Erst wenn ich weiß, daß mein Heil allein in Gottes Gnade und Barm-herzigkeit ruht, bin ich mir sicher, daß er es mir auch erhalten kann. Wenn ich selbst etwas zu meinem Heil beitragen könnte, wäre ja auch die Heilstat Christi nutzlos gewesen.

13. Die Erkenntnis in der Herrlichkeit - die dreierlei Lichter

Für das Licht der Natur ist z.B. auch das Glück der Gottlosen unbegreiflich; Hiob und Ps. 73 zweifeln an der Gerechtigkeit Gottes. Doch das Evangelium (das Licht der Gnade) löst diese Frage dadurch, daß die Seelen der Gottlosen im ewigen Leben verloren-gehen. Ebenso wird uns in der Ewigkeit das Licht der Herrlichkeit die Frage nach dem scheinbar ungerechten Gott klären, der Menschen straft und belohnt, die eigentlich von sich aus nichts daran ändern können.

Ulrich Zimmermann