24.08.02 10:23 Type" CONTENT="text/html; charset=windows-1252"> Martin Luther, De libertate Christiana

MAR. LVTHERI TRACTATVS DE LIBERTATE CHRISTIANA.

Exzerpt nach WA 7,49-73

Es geht um echte Erfahrung des christlichen Glaubens aus der Anfechtung heraus. Deshalb folgende zwei Thesen:

Christianus homo omnium dominus est liberrimus, nulli subiectus.

Christianus homo omnium servus est officiosissimus, omnibus subiectus.

Biblische Belege: 1.Kor. 9,19; Röm 13,8; Gal. 4,4; Phil. 2,6f.

Der Mensch besteht aus einer zweifachen Natur: einer geistlichen, d.h. dem inneren, neuen Menschen, und einer leiblichen, d.h. dem fleischlichen, äußeren, alten Menschen; beide widersprechen einander.

Erster Teil: Zum inneren Menschen

Keine äußerlichen Dinge, auch keine Spekulationen oder Meditationen, haben Einfluß auf die Gerechtigkeit oder die christliche Freiheit des inneren Menschen: "Et constat, nullam prorsus rerum externarum...aliquid habere momenti ad iustitiam aut libertatem Christianam". Sondern: "Una re eaque sola opus est ad vitam, iustitiam et libertatem Christianam. Ea est sacrosanctum verbum dei, Euangelium Christi". Dem Wort kann man nur durch Glauben begegnen: "Fides enim sola est salutaris et efficax usus verbi dei". Belege: Röm. 1,17; 10,4.9. So geschieht Rechtfertigung aus Glauben: "anima...ita sola fide et nullis operibus iustificatur." Man muß an seiner Sünde verzweifeln, um dann im Glauben ein anderer Mensch zu werden, durch die Sündenvergebung und die Rechtfertigung aufgrund der fremden Verdienste Christi (d.h. sein stellvertretendes Leiden und Auferstehen) Der Glaube bringt Heil, Erfüllung des Gesetzes und Gerechtigkeit.

Die Schrift ist in zwei Teile geteilt: Gebote und Verheißungen ("Praecepta et promissa"). Die Gebote zeigen nur, was zu tun ist, aber geben nicht die Kraft dazu; sie sind der alte Bund. So soll der Mensch an seinem Unvermögen verzweifeln und woanders Hilfe suchen. Die findet er im Glauben an die Verheißungen (der neue Bund), der das Gesetz erfüllt und Gnade, Gerechtigkeit etc. bringt. So erfüllt Gott durch seine Verheißungen selbst das, was er gebietet. "Sic promissa dei hoc donant, quod praecepta exigunt..., ut sint omnia solus dei, tam praecepta et plenitudo eorum.""anima per fidem solam, sine operibus, e verbo dei iustificatur". Am Wort können keine Werke, sondern nur der Glaube hängen. Wer keine Werke braucht, braucht auch kein Gesetz: daraus folgt die christliche Freiheit vom Gesetz. Dies ist die erste Kraft des Glaubens.

Die zweite Kraft: Der Glaube ist die höchste Gottesverehrung, weil er Gott als wahr und gerecht anerkennt. Umgekehrt ist der Unglaube die größte Schmähung Gottes. Wegen des Glaubens teilt Gott uns dann seine Wahrheit und Gerechtigkeit zu.

Die dritte unvergleichliche Gnade ("gratia incomparabilis")des Glaubens: Im Glauben vereinigt sich die Seele mit Christus wie Braut und Bräutigam zu einem Leib (Eph. 5,30ff.). Nun ist beiden alles gemeinsam: Christus gehören Sünde, Tod und Hölle der Seele und der Seele Gnade, Leben und Heil Christi, der damit Sünde, Tod und Hölle der Seele überwindet und sie davon befreit. Der Glaube ist der Brautring. So kann sich die Seele angesichts ihrer Sünde auf die Gerechtigkeit ihres Bräutigams Christus berufen.

Daher erfüllt allein der Glaube und nicht die Werke das erste Gebot, da er Gott als wahr und gut ehrt. So erfüllt er auch die anderen Gebote ("fides sola est iustitia Christiani hominis et omnium praeceptorum plenitudo") und bringt darauf dann die Werke hervor.

Dies wird auch durch die Erstgeburt im AT verdeutlicht, die Herrschaft und Priestertum bedeutet. Christus tritt als geistlicher Priester mit Bitten für uns ein und lehrt uns. Diese beiden Würden der Erstgeburt teilt uns Christus in der beschriebenen Ehegemeinschaft mit: Im Glauben herrsche ich geistlich über alles, so daß mir nichts schadet, sondern alles zu Besten dient, auch Kreuz und Tod. "Ecce haec est Christianorum inaestimabilis potentia et libertas." Durch den Glauben sind wir auch alle Mitpriester, die vor Gott erscheinen und für andere beten sowie einander lehren können. Von dieser Würde der Christen gilt: "Ad hanc gloriam certe nullis operibus sed sola fide pervenit."

Folgerung: "Ex iis clare videre potest quilibet, quo modo Christianus homo liber est ab omnibus et super omnia, ita ut nullis operibus ad hoc indigeat, ut iustus et salvus sit, sed sola fides haec omnia largitur abunde."

Wenn nun alle Kirchenglieder Priester sind, soll man die kirchlichen Priester und Kleriker nach der Schrift nur Diener und Haushalter nennen (1.Kor. 4,1), die eingesetzt sind, im Dienst am Wort den Glauben an Christus und die Freiheit der Gläubigen zu predigen. Das Wissen um Glauben und Freiheit ist allerdings durch den tyrannischen Machtmißbrauch der Kirchenmänner verloren-gegangen. Christus darf nicht nur historisch, moralisch oder mystisch, sondern muß so gepredigt werden, daß Glaube geweckt wird und Christus nicht nur neutral bleibt, sondern mir und dir zum Christus wird. Aus solcher Predigt gewinnt das Herz Freude, Liebe zu Christus, Trost und Frieden des Gewissens.

Zweiter Teil: Zum äußeren Menschen

Wir sollen uns keineswegs auf der Gerechtigkeit des Glaubens ausruhen; solange wir im Fleisch leben, geschieht nur ein Anfang, der am jüngsten Tag vollendet wird. Nun muß die zweite These entfaltet werden, daß der Christ Diener und Untertan ist und so tätig wird. Im Wachstum des Glaubens beginnen die Werke: die Unterwerfung des Leibes unter den Glaubensgehorsam des inneren Menschen, der Umgang mit anderen Menschen und der fröhliche Gottesdienst in freier Liebe ("in libera charitate"). Dies widerspricht aber dem eigensüchtigen, weltlich gesonnenen Willen des Fleisches.

Aber diese Werke sollen nicht gegen den Glauben in der Meinung geschehen, durch sie gerecht zu werden, sondern um im Gehorsam gegen Gott den Leib von den Begierden zu reinigen, wie die Seele durch den Glauben gereinigt wurde. Danach richtet sich das Maß der Werke.

Wie Adam gerecht und sündlos ins Paradies gesetzt war, um es zu bebauen und zu bewahren, soll der durch den Glauben neu geschaffene Mensch seinen Leib bearbeiten, um in Werken der Freiheit Gott zu gefallen. Wie ein Bischof nicht durch seine Amtsausübung Bischof wird, sondern sein Amt ausübt, weil er schon geweihter Bischof ist, wird ein Mensch nicht durch gute Werke Christ, sondern tut sie, weil er schon durch den Glauben Christ ist. "Bona opera non faciunt bonum virum, sed bonus vir facit bona opera". Wenn er ein Werk im Glauben tut, ist es gut, tut er es im Unglauben, ist es schlecht. Weil alles von Glauben oder Unglauben ausgeht, nützt auch einem Ungläubigen kein gutes Werk etwas zu Gerechtigkeit und Heil. An den Werken wird ein guter oder schlechter Mensch höchstens äußerlich von Menschen erkannt, worin man sich aber täuschen kann. Man muß darauf sehen, daß ein Mensch nicht durch seine Werke, sondern von Gott gerechtfertigt wurde, durch sein Wort aufgrund des Glaubens.

Nicht die guten Werke an sich sind zu verwerfen, sondern ihr falscher Gebrauch in der Meinung, durch sie gerecht zu werden; dadurch löscht man Glauben und Freiheit aus und greift in Gottes Werk der Rechtfertigung gewaltsam ein. Diese falsche Meinung kann die Natur nicht von sich aus erkennen geschweige denn austreiben, sondern nur der Glaube. Man muß beides predigen: Gesetz, damit Sündenerkenntnis und Buße entsteht, und Gnade, damit Glauben gewirkt wird.

Von den Werken im allgemeinen zu denen für den Nächsten: Der Mensch macht sich seinen Leib untertan, um nach dem Vorbild Christi dem Nächsten freier dienen zu können, mit dem er in dieser Welt leben muß. Man soll nur darauf schauen, wie man in seinen Werken dem Nächsten dienen kann: "fides efficax est per dilectionem, hoc est, cum gaudio et dilectione prodit in opus servitutis liberrimae". Aus dem Reichtum des Glaubens heraus soll man dem Nächsten Gutes tun, wie Christus freiwillig seine Herrlichkeit aufgab, ohne daß er es nötig gehabt hätte, und Knechtsgestalt annahm, um uns zu dienen (Phil. 2,5ff). Weil Christus mir gedient hat, soll ich aus Dankbarkeit gegen Gott für die in Christus geschenkte Gerechtigkeit mich dem anderen gewissermaßen als Christus darbieten.

Ich soll auch mit meiner Gerechtigkeit und meinem Glauben vor Gott treten, um aus Liebe für die Sünden des Nächsten zu bitten und sie zu bedecken, wie Christus für mich getan hat. Die Liebe ist unverfälscht, wo der Glaube unverfälscht ist! "Concludimus itaque, Christianum hominem non vivere in seipso, sed in Christo et proximo suo,...in Christo per fidem, in proximo per charitatem".

Nun gibt es einerseits solche, die die christliche Freiheit fleischlich mißverstehen und in Verachtung aller menschlicher Zeremonien und Gesetze meinen, nun sei ihnen alles erlaubt, und andererseits solche, die durch genaue Einhaltung der Gesetze das Heil zu erlangen meinen. Beide sind schuldig und vernachlässigen die zum Heil notwendigen Dinge. Beide werden auf diese Weise nicht gerecht! Einer soll den anderen in Liebe achten (Röm.14,3) und den richtigen Mittelweg gehen.

Wir sind durch den Glauben an Christus nicht frei von den Werken, sondern von der falschen Meinung, durch sie gerecht zu werden; wir tun sie nun, weil wir in dieser Welt mit ihren politischen und kirchlichen Gesetzen leben und den Leib zähmen müssen, auch dem Nächsten zum Beispiel.

Sowohl auf hartnäckige Vertreter der Werkgerechtigkeit als auch auf Schwache im Glauben soll man angemessen eingehen wie Paulus (s.o.), um beiden die Freiheit und den Glauben zu zeigen. Man soll gegen die Wölfe, aber für die Schafe kämpfen. Ein Diener Christi muß die Gemeinde recht lehren, damit sie nicht den Glauben verlieren und in der falschen Meinung verführt werden, durch Werke gerecht zu werden. Kinder sollen in Schranken der Zeremonien erzogen werden, um den jugendlichen Drang zu besänftigen, später aber durch Lehre vor der Gefahr bewahrt werden, in ihnen ihre Rechtfertigung zu suchen. So soll man die Zeremonien in ihrem Stellenwert als nötige Vorbereitung achten, aber nicht in der falschen Meinung steckenbleiben, durch sie gerecht zu werden, ohne je zum Glauben durchzudringen. Die menschliche Natur kann nicht von selbst aus der Knechtschaft dieser falschen Meinung zur Freiheit des Glaubens durchdringen, sondern nur, wenn Gott selbst sie lehrt, wozu Gebet nötig ist.

Ulrich Zimmermann