Ein großer Teil der erzählenden Jesusüberlieferung besteht
aus Wundergeschichten. Gerade aber diese machen Schwierigkeiten für
das Verständnis, da heutzutage Wunder die Naturgesetze durchbrechen,
damals aber alle Ereignisse waren, in denen man außergewöhnliche
Kräfte zu spüren meinte. Das Wunder hatte damals Hinweischarakter.
Dabei ist zu beachten, daß Wundergeschichten auch bloße
Darstellungsmittel, literarische Stilisierungsmittel und erzählerisches
Requisit sein können.
Dem heutigen Ausleger steht eine dreifach Aufgabe ins Haus:
die Wundergeschichten von den zeitgenössische Voraussetzungen
her erschließen,
ihre Gattungs- und Stilmerkmale analysieren und
den theologischen Sinn, den Hinweis auf Gottes Handeln erklären.
Terminologie
Es gibt im NT keine einheitliche Bezeichnung für Wunder. Begegnen
können:
dunamis Machtentfaltung, Krafterweis heißen die Wunder
bei den Synoptikern und betonten damit den Hinweischarakter.
shmeion Zeichen Jesu Wunder als Zeichen der Legitimation.
shmeion kai terata Zeichen und ungeheuerliche Erscheinungen entstammt
dem at-lichen Sprachgebrauch.
Religionsgeschichtlicher Hintergrund
Um es vorwegzunehmen: Es gibt keine Verbindung zwischen den hellenistischen
Wundergeschichten und den synoptischen Wundergeschichten. Die einzige Berührung
ist die der volkstümliche Aretalogien mit den apokryphen Apostelakten.
Schon eher gibt es eine Verbindung zwischen den jüdischen Wundergeschichten
und den Apostelwundern in der Apostelgeschichte. Im jüdischen wundergeschichten
wird von Gebetserhörungen berichtet. Bei beiden Jüdischen Wundergeschichten
und Apostelwunder steht der Glaube und das Gebet im Mittelpunkt.
Im Gegensatz dazu stehen die Wundergeschichten im NT: Hier wird nicht
die Gott oder dem Glauben die Vollmacht des Heils und des Helfens zu geschrieben,
sondern Jesus selbst.
Allgemeine überlieferungsgeschichtliche Kriterien
Wachstum von Wunderüberlieferungen
Dabei sind Steigerungen, Mk1046 zu Mt2030, Mk89 zu Mk644 und Mt1421
Dubletten, Mt927-31 und Mt2029-34 gehen auf Mk1046-52 zurück,
Mk81-10 zu Mk630-44
Umsetzung von Bildworten in Erzählungen, Verfluchung des Feigenbaums
Mk1112-14,20 aus dem
Gleichnis Lk136-9, Fischzugserzählung Lk51-11 uas dem Menschenfisherwoert
Mk127
Übertragungen uas der Umwelt, Tempelsteuerddiskussionen Mt1724-27
, V27 sekundär, hat Parallelen zu einem Ring des Polyykrates,
Totenverehrung in Nain Lk711-17 hat Parallelen zu einem Wunder von
Apollonius von Tyana, das Weinwunder zu Kana Joh21-11 hat Parallelen
zum Dionysos-Mythos.
Veranschaulichung theologischer Bezüge, d.h. vorallem von at-lichen
Prophetenwunder
mit dem Theologumenon vom Wiederaufleben des prophetischen Geistes
der Endzeit. Speisungwunder Mk630-44 und 81-10 hat Anspielungen auf
Elia 1Kön178-16 und Elisa 2Kön41-7,42-44 oder das
Finden des Esels beim Einzug in Jerusalem Mk112-7 und des Abendmahlraumes
dient der Veranschaulichung, daß Gott Jesus alles zur Verfügung
stellt, was er jetzt braucht.
zubeobachten.
Topik, d.h. bestimmte stereotype Elemente sind zu erkennen.
Exposition mit Schilderung der Krankheitsgeschichte und Schwere der
Krankheit. Darstellung des Heilungsvorgangs: wirkkräftige Manipulation
des Wundertäters, wunderwikrenden Worte, Bedrohung des die Krankheit
verursachenden Dämons.
Erzählabschluß mit öffentlicher Demonstration des Erfolges
und Schilderung des Eindrucks des Publikums.
Jedoch ist diese Topik nicht so festverankert wie in den hellenistischen
Aretalogien. Im Gegen-teil, deshalb kann man mit der Formel "Je stärker
sich topische Elemente in einerWundergeschichte häufen, desto größer
ist die Wahrscheinlichkeit, daß es sich um eine späte Bildung
handelt" das relative Alter bestimmen.
Gattungsklassifizierung
Sitz im Leben ist die missionarische Verkündigung.
Bultmann
teilt die Gattungen in Heilungswunder und Naturwunder ein. Ein bißchen
mau wie Roloff meint. Zum gleichen Ergebnis kommt er bei
Dibelius,
der die Wunder in Paradigmen (knappe Erzählung der Wunder) und
Novellen (am Detail interessierte Wundererzählung) einteilt
Roloff teilt nach dem Gesichtspunkten Situation der auftretenden Personen
und der Struktur des Handelns Jesu ein und kommt zu folgenden Gattungen
der Wundergeschichten:
Exorzismen
Mk123-27,51-20,9914-29 haben Kampfcharakter der Gegenspieler Jesu
ist der Dämon und ist Sieger über ihn und den Kosmos. Pointe
liegt in der Anerkennung der Stärke und Herrschaft Jesu
Heilungen
Mk129-31,40-45,731-37,822-26, Mt81-13 zwar ist ein Dämon der Verursacher
einer Krankheit, aber der Gegenüber ist der Mensch. Das Handeln Jesu
hat helfenden, heilenden Charakter, denn heilenden Gesten und Worte stehen
im Mittelpunkt, berichtet wird meist von der Hinwendung Jesu zum bedürftigen
Menschen, wobei das Glaubensmotiv ein wichtige Rolle spielt.
Rettungswunder
Mk436-41,631-44,45-52,81-9 Die Rettung von Menschen aus akuten Notlangen
und vor feindlichen Naturgewalten werden berichtet. Das Wunder vollzieht
sich an Gegenständen wie Wind, Wellen, Schiffen und Nahrungsmitteln.
Die Bedeutung der Taten Jesu im Rahmen seines Wirkens
Trotz aller sekundären Bildungen bleibt ein fester Kern, nämlich,
daß der Mittelpunkt des Wirkens Jesu das helfende und heilende Handeln
stand, was historisch unbestreitbar ist. Naja wenn er meint, ich mein's
net.
Eschatologischer Charakter
Auf jeden Fall steht der eschatologische Charakter im Vordergurnd.
Die Wundergeschichten waren aufrüttelden Hinweise darauf, daß
Gott entscheidend zu handel begonnen hat mit Jesus. So stehen die Wundergeschichten
in einem engen Verhältnis zur Verkündigung der anbrechenden Gottesherrschaft.
Die gilt besonders für die Exorzismen da Gottes Mach sich gegen die
widernatrürliche Gewalten durchsetzt und sie überwindet. Schlußfolgerung:
Exorzismen Entmachtung des Bösen, Heilung ist die eschatologische
Selbstdurchsetzung Gottes.
Unterordnung der Tat unter das Wortgeschehen
Nur sehr sparsam werden die Gesten und Praktiken beschrieben die Betonung
liegt viel mehr auf dem Wort, das die Heilung auslöst. Jesus soll
in den älteren Überlieferungen als der erscheinen, der das endzeitliche
Handeln Gottes im Wort darbietet. Ohne das Wort, das Heilung wirkt, bleibt
das Wunder zweideutig. Es hat Hinweischarakter, der Hinweis muß jedoch
durch die Begegnung mit dem Wort jesu verifiziert werden.
Der Bezug auf den Glauben als konstitutiver Faktor
Mk 534,36b,440,923f,1052, Mt810 par Lk79 (=Q), Lk1719 (SLk) Typische
Wendung: "Dein Glaube hat dich gerettet".
Der Glaube ereignet sich in der aktuellen Einzelbegegnung mit Jesus
und greift über die Heilung hinaus. Glaube ist das Zutrauen, das in
Jesus Gottes heilvolle zuwendung zur Welt findet.
Die Deutung der Wundergeschichte in den synoptisxhen Evangelien
Das Markus-Evangelium
Kontrapunkt zum Wunder ist die Geheimnistheorie des Markus. Auf der
einen Seite das Wunder als entscheidender Faktor im wirken Jesus, anderer
seite die Geheimnistheorie. Obwohl die Wunder allgemein sichtbar waren
und an die Öffentlichkeit drängten, brachten sie nicht Glaube,
sondern Unglaube und Entfremdung. Aufgrund des Jüngerunverständisses
und der Geheimnistheorie kann Jesus erst am Kreuz als der erkannt werden,
der er eigentlich ist. Somit können auch die Wunder nicht zur Erkenntnis
der Person Jesus führen. Die Wunder Jesu sind also vorlaufende verborgene
Offenbarungen des Auferstandenen, aus ihrer Darstellung soll die nachösterliche
Gemeinde auch mit der Hilfe des Erhöhten rechnen können.
Das Matthäus-Evangelium
Die Einzelheiten der Wunder fallen der matthäischen Kürzungstendenz
zum Opfer. Im Zentrum der matthäischen Verkündigung steht die
Lehre Jesus nicht die Wunder, die nur der Erfüllung der at-lichen
Verheißung dienen. So werden die Wunder zu Hinweisen der eschatologischen
Lehrvollmacht.
Das Lukas-Evangelium
Die Wunder sind Zeichen der jesuanischen Heilszeit.
Typen des Wunderverständnisses in der neueren Theologie
Die rationalistische Erklärung
Zurückführung der Wunder auf natürliche, rational erklärbare
Vorgänge, d.h. ihre Historizität wird nicht geleugnet, lediglich
ihr wunderbarer Charakter.
Kritik: Die moderne Welterfahrung wird Maßstab der damaligen
Wirklichkeit gemacht.
Die mythologische Erklärung
meint die Aufnahme von Wundern aus der Umwelt, um Jesu Bedeutung ausdrücken
zu können. Bultmann ergänzt diese Erklärung mit der Kerygma-Theologie.
Kritik: Wird den nt-lichen Sachgehalt nur teilweise gerecht, da ein
großer Teil der synoptischen Wundererzählungen frei von mythologischen
Tendenzen ist.
Die anthropologische Erklärung
entwickelt von Feuerbachs und Freuds Religionskritik: Wunder als Projektionen
unerfüllbarer Wünsche, Grenzüberschreitungen, in denen das
Leben im hier und jetzt, besser im damals und dort negiert wird. Bei den
Neomarxisten, wen Roloff damit auch immer meint, gelten Wunder als Transzendierung
der gegeben Verhältnisse auf die noch nicht verwirklichten Möglichkeiten
des Menschseins.
Die sozialpsychologische Erklärung
Wundergeschichten als symoblische Handlungen, in denen die konkrete
Negativität der Welterfahrung einer bestimmten Schicht überwunden
wird.
Innerneutestamentliche Relativierung
Versuch das Gewicht der Wunder durch eine innerneutestamentliche Gegenbewegung
zu relativieren.