Amphiktyonie Hans Jochen Boecker
1. Einführung
Die altisraelitische Amphiktyonie bewegt nach wie vor die Gemüter
der AlttestamentlerInnen, wenn auch mit unterschiedlichen Ergebnissen.
Die Quellenlage ist dürftig, komplex und disperat. Die alles
bewegende Frage ist, wie die nachfolgende Geschichte Israels am besten
erklärt werden kann, also nach dem Verständnis des alten Israels.
War es Volk, Stämmebund, Staat oder Idee?
2. M. Noths Amphiktyonie-These
Dabei geht Noth von der Grundlage aus daß das vorstaatliche Israel
aus 12 Stämmen zusammengesetzt war. Jedoch fragt der Historiker dahinter,
ob es sich dabei um historische Wirklichkeit oder um theoretische Konstruktion
handelt. Die beantwortete Noth mit historischer Wirklichkeit.
2.1 Die 12er Zahl
Die Bibel kennt zwei Traditionen der 12 Stämme bei der ersten
wird Levi mitgezählt Gen 491-27, bei der zweiten fehlt Levi und dafür
wird Joseph durch Efraim und Menasse ersetzt Num 265-51. Folgerung
die Zahl 12 scheint konstitutiv zu sein. Bestätigt wird dies durch
Vergleiche mit Nachbarvölker, die ebenfalls in 12 Stämme eingeteilt
sind. Gen 2220-24, 2513-16 und 3610-14. Neben dieser 12er Zahl gibt es
eine 6er Zahl, die in den Lea-Stämmen zu finden ist.
2.2 Der Analogie-Schluß
Nach dieser Feststellung zieht Noth eine Parallele in den griechischen
und altitalischen Kulturraum. Dort findet er eine Vereinigung der Umwohnenden,
Amphiktyonie. Deren Hauptaufgabe ist die Pflege und Unterhaltung eines
Zentralheiligtums. Dies ist jedoch nicht der Gründungsgrund, sondern
die geschichtliche Entwicklung ,durch die verschiedene Stämme zusammengeführt
wurden. Das Zentralheiligtum hat in der Folge eine zentrale Rolle für
den Zusammenhalt gespielt. Damit hat Noth seine These der geschichtlichen
Wirklichkeit belegt.
2.3 Bildung der Amphiktyonie
Die Amphiktyonie-Bildung fand nach Noth zwischen der Landnahme und
der Staatenbildung statt. Dabei handelt es sich um einen sukzessiven Prozeß.
Zunächst gab es einen 6er-Vereinigung der Lea-Stämme. Dies
entspricht Israel. Durch die Einwanderung der Rahel-Stämme kam es
zu einer neuen Konstellation, zumal die Stämme Dan, Naftali, Gad und
Asser auch beitreten. Die Rahel-Stämme bringen Jahwe aus dem Exodus
mit. Der alte Name Israel wird beibehalten und beim Landtag zu Sichem wird
von der neuen Amphiktyonie berichtet, so Noth.
Die Frage warum gerade 6 oder 12 Stämme wird mit dem monatlichen
Dienst am Zentralheiligtum begründet.
2.4 Lebensäußerungen der Amphiktyonie
Das Quellenmaterial ist gering. Noth erklärt dies mit der Alltäglichkeit
er Amphiktyonie.
Eine Äußerung sieht er im Namen Israel der abgesehen vom politischen
Gebrauch für das Nordreich und vom Zweitnamen für Jakob für
die Gesamtbezeichnug des Stämmeverbands steht.
Das Zentralheiligtum verortet Noth in Sichem. Die Bundeslade der Rahel-Stämme
verändert seinen Charakter von einem Wanderheiligtum in einen Bestandteil
des Zentralheiligtums.
Der Richter Israels wird in einer späteren Fortführung der
Gedanken zum Sprecher und Verwalter des amphiktyonischen Lebens als Inhaber
des einzigen aus vorstaatlicher Zeit bekannten Amtes von gesamtiraelitischer
Bedeutung.
3. Gegenthesen zur Amphiktyonie
3.1 Methodische Kritik
Am schärfsten griff G. Fohrer die Amphiktyonie an. Der Analogieschluß
aus einem völlig beziehungslosen Kulturraum forderte die Kritik heraus.
Ist und in welchem Maße ist die Anwendung der Analogie für die
Beschreibung historischer Tatsachen möglich und gefordert. Wie weit
muß eine aufweisbare Beziehung zwischen dem verglichenen historischen
Phänomen bestehen? Analogie ist ein Annäherungswert, der deshalb
und solange für die historische Interpretation anzuwenden ist, als
andere Vergleichsmöglichkeiten nicht gegeben sind, so Bächli.
Damit steht im Zusammenhang das fehlen des hebräischen Äquivalents
zum griechischen Amphiktyonie. Fohrer wendet dies gegen die Existenz des
altisraelitischen Stämmeverbands ein. Aber: Es fehlt auch das Wort
für die Ehe und doch gab es sie.
Kann der Name Israel die Stelle des griechischen Amphiktyonie einnehmen?
Man muß mit einer Entwicklung des Stämmeverbandes rechnen.
So kam die Jahwe-Verehrung erst mit den Rahel-Stämmen und der 12 Amphiktyonie
unter Beibehaltung des Namens Israel und somit gegen Fohrer, der eine Ausschließlichkeit
von Israel und Jahwe-Verehrung sieht.
3.2 Das Zentralheiligtum
Noths These, daß die Lade das Zentralheiligtum gewesen sei, hat
sich nicht bewährt. Denn ad 1 in für Noth so wichtigen Jos 24
kommt die Lade nicht vor.
ad 2 Wenn für die Lade ihre funktion als Kriegsheiligtum wesentlich
ist, dann kommt sie als amphiktyonisches Heiligtum nicht in Betracht, denn
die Kriegsführung war Sache der einzelnen Stämme.
Wo lag das Zentralheiligtum?
Es werden 14 Orte in der Forschung genannt. Zwei davon kristallisieren
sich heraus.
Sichem: Seebaß hat die Argumente, die dafür sprechen, gesammelt:
Jos 24 ist fest mit Sichem verbunden. Auch andere Texte gerade in der Nähe
zu Sichem lassen Aktivität der 12 Stämme erkennen. Dabei handelt
es sich um späte Texte, die dennoch eine Tradition daran erkennen
lassen können. Auch die zentrale Lage spricht für Sichem.
Gilgal: Die in Jos 3-4 überlieferte Tradition der 12 Steine im
Jordan und der 12 Steine in Gilgal. Auffallende Betonung der Zahl 12. Dadurch
erführen eher beiläufige Erwähnungen Gilgals eine ungezwungene
Deutung.
Selbst wenn es kein Zentralheiligtum gegeben habe, so ist damit die
Amphiktyonie nicht vom Tisch, da statt des Heiligtums eine andere Größe
treten könne.
3.3 Die 12
Die 12 könne auch anders erklärt werden: 12 ist eine kosmische
Zahl. Wenn Israel aus 12 Stämmen besteht, dann kann damit die Gesamtheit
Israels gemeint sein.
3.4 Die Richter Israels
Liste in Ri 101-5, 127-15 durch das Schema Es richtete nach ihm NN
Israel. Er richtete Israel X Jahre. Dann starb er und wurde in Y begraben
scheint die Liste authentische und exakte Jahreszahlen - sie sind nicht
gerundet oder ideologisch gefärbt - vor der Staatenbildung Israels
zu liefern. Darüber hinaus scheinen die Richter in einem bestimmten
Turnus aus den verschiedenen Stämmen zu kommen. Daß diese Richter
auch wirklich Richter waren, trifft sicher nicht zu, denn die Rechtssprechung
war lokal organisiert. Es muß also nach einer gesamtaltisraelitischen
Funktion gesucht werden. Diese sieht Noth im Kennen, Auslegen und Auskunftgeben
des Gottesrechts, im Überwachen der Einhaltung und der öffentlichen
Verkündigung, in der Anpassung an neue Situationen und damit in der
Weiterbildung des Gottesrechts. Daraus ließe sich die zentrale Bedeutung
des Gottesrechts für Israel als Ganzes in der Geschichte erklären.
Dagegen hat Richter eingewandt, daß Richter nicht nur mit Recht
und Rechtspraxis zu tun haben, sondern auch Verwaltungsaufgaben zu übernehmen
hätten. Für Richter ist die Bezugsgröße die Stadt
deren Vertreter die Richter gewesen seien im Übergang von Tribal-
zur Stadtverfassung.
Für Noth spielt die Sukzession eine wichtige Rolle zu der er eine
Analogie zur königlichen Annalistik sieht und begründet somit
ein zentrales Amt.
Das Problem für Noth stellt sich in der nähren Definition
des Gottesrechts. Noth zieht in Erwägung ob nicht Teile des Bundesbuches
dem Gottes- oder Amphityonierecht entstammen. Dieses Recht war aber nicht
völlig kodifiziert. Es kann eine Beziehung zwischen apodiktischen
und amphiktyonischen Recht hergestellt werden. Beim amphiktyonischen Recht
dürfte es sich um ein ungeschriebenes Gewohnheitsrecht handeln Ri
19-20.
3.5 Ri 19-20
Dabei handelt es sich nach Noth um eine Amphiktyonenkrieg gegen ein
Mitglied der Amphiktyonie, das sich am Amphiktyonierecht vergangen hat.
Es gehört zum Inhalt des gemeinsamen Rechts das Leben und die Gesundheit
der Menschen in der Amphiktyonie zu schützen und bei Rechtsverstösse
zu bestrafen.
Eissfeld sieht darin einen begrenzten Konflikt zwischen Efraim und
Benjamin. Jedoch bleiben manche Anfragen zu stellen: Wie ist die Ausweitung
des Geschehens auf ganz Israel erklärbar. Fazit damit die Amphiktyonie-These
nicht aushebelbar.
3.6 Jos 24
Der Landtag von Sichem ist nach Noth das entscheidende Ereignis der
altisraelitischen Amphiktyonie durch die Erweiterung auf 12 Stämme
durch die Lea-Stämme und die Übernahme des Jahwe-Glaubens.
Perlitt hält Jos 24 für ganz und gar deuteronomistisch aufgrund
der Form- und Sprachgestalt und bestreitet die Möglichkeit aus diesem
Text etwas für die israelitische Frühgeschichte entnehmen zu
können. Als geschichtlicher Anlaß für den Text sieht Perlitt
die Regierungszeit Manasse, während der es in Jerusalem zu einer bis
dahin nicht gekannten Überfremdung durch ausländische Kulte gekommen
ist.
Allerdings das Absprechen der Möglichkeit von historischen Erinnerungen
an die Amphiktyonie geht Boecker dann doch zu weit und zeigt Löcher
in der Argumentation Perlitts auf.
Fazit: Noth baut seine Amphiktyonie nicht von Jos 24 auf, sondern nimmt
Jos 24 als Anhaltspunkt.
3.7 Herrmann
Herrmann kritisiert Noth nicht an einzelnen Thesen oder Ergebnissen,
sondern grundsätzllich mit der Frage nach der Entstehung des israelitischen
Einheitsbewußtseins. Die Frage ist, ob sich das Einheitsbewußtsein
durch die Amphiktyonie in der Richterzeit als institutioneller Hintergrund
oder als Idee von der Einheit Israels erweisen läßt. In diesem
Sinn ersteht Hermann das Werden des Einheitsbewußtseins Israels
und erklärt, daß dieses Zwölf-Stämme-System von Jud
her entwicklet und unter dem Eindruck der davidischen Großreichsbildung
differenzeirt und fixiert worden ist. Jedoch bleibt die Frage wie eine
Idee so geschichtsmächtig werden kann.