0. Vorbemerkung
Herrmann sieht sich in der Spannung zwischen der überlieferungsgeschichtlichen
Reduktion durch M. Noth und der pietistisch-popularwissenschaftlichen Aussagen
wie "Und die Bibel hat doch recht". Sein Programm gegen diese Extreme ist
die historische Herangehensweise.
1. Historischer Rahmen
1.1 Der Name Mose
Mose ägyptischer Name mit der Wurzel msj und bedeutet "der Gott
[...] hat (ihn erzeugt".
Logische Konsequenz daraus ist die Frage: War der Namensträger
Ägypter?
Antwort: Aufgrund der alttestamentlichen Überlieferung Nein. (Ex
211ff)
"Was ist es... für eine merkwürdige Stellung, die dieser
Semit...spielte!" Diese Stellung muß erklärbar sein und geht
der Frage nach ob dies ein geschichtlicher Sachverhalt ist.
Dazu nennt er verschiedene Quellen, die belegen, daß bereits
ab 2450-2250 v.Chr ein Eindringen semitisch-beduinischer Elemente stattgefunden
hat. Vor dem Hyksos-Einfall gab es Vorläufer, die "...auf durchaus
friedlichem Wege nach Ägypten kanne und dort in Dienstverhältnisse
ganz verschiedener Art eintraten, die vielfach auch zu einem engeren Kontakt
zwischen Semiten und ihren ägyptischen Arbeitgebern führten."
Mit dem Papyrus Brooklyn 35.1446 wird gezeigt, daß man mit der Benennung
Fremdstämmiger sehr großzügig und nach verschiedenen Grundsätzen
verfuhr. Die "Kinder, besonders wenn sie erst in Ägypten geboren
wurden, erhielten sogleich einen ägyptischen Namen." Das Wesentliche
ist, daß diese Semiten dort, wo sie auftauchten und wo sie arbeiteten,
weitgehend in die ägyptische Gesellschaft...integriert wurde. Dazu
gehört auch die Namensgebung... Damit ist...Vorraussetzung erfüllt,
einen Semiten in Ägypten... mit Fug und Recht einen ägyptischen Namen
tragen zulassen"
1.2 Wo her kamen diese "Eindringlinge"
Das Habiru-Problem beschreibt eine soziale Gruppe, keine ethnologische.
Dies beantwortet nicht die Frage nach dem Eisodos. Der Zeitpunkt für
das Eindringen in Ägypten durch eine Südgruppe ist nicht zu trennen
von der Landnahme durch eine Nordgruppe. Damit bezieht Herrmann gegen Albright,
de Vaux und Cazelles Stellung, die die Patriarchenzeit in die erste Hälfte
des 2. Jahrtausend v.Chr. verlegen. Dagegen sprechen die geschichtlich
höchst komplexen Umwälzungen Ablösung der Hyksos-Dynastie
etc. Im AT werden Abstammung und Beziehungen mit Genealogien beschrieben,
diese wollen, "daß die nachmaligen Israeliten als Glieder eines größeren
Bevölkerungszusammenhangs aufgefaßt sein wollen." Es gibt eine
Diskrepanz zwischen den Patriarchen in der Nordgruppe (="Protoaramäer"),
Mose aber aus der Südgruppe (="Protoisraeliten") jedoch bildet das
AT diesen Gegensatz nicht aus. Von der Genealogie Schems also der Semiten
Gen 1120ff ausgehend siedelte Nahor Gen 2220-24 im Norden, Ismael Gen 2512-18
im Süden und Ketura Gen 251-4 etwa in der Mitte. Herrmann kommt zu
dem Ergebnis: "Der Gedanke, daß die nach Ägypten gelangten Semiten...
gleichsam nach Südwesten Versprengte aus dem Bereich der aramäischen
Bewegung waren, mag wie eine Konstruktion anmuten, aber diese Überlegungen
passen räumlich und zeitlich zu den biblischen Berichten, und sie
erklären nicht zuletzt, warum die Ägypten-Gruppe die Letzte war, die
es nach dem Exodus zu einer Landnahme in Palästina brachte. Denn in
zwischen hatten andere Stämme diese Landnahme schon vollzogen!" Herrmann
sieht eine Parallel zwischen dem Weidebegehren der Schasu von Edom, das
im Brief eines Grenzbeamten an seine Vorgesetzten genannt wird. Für
Herrmann ist damit der geschichtliche Rahmen durch eine "kleinräumige
und zeitlich begrenzte Lösung für die Probleme des Ägypten-Aufenthalts
umrissen..."
1.3 Funktionen Mose
"In diesen geographischen Bereichen und unter den damaligen Umstände
erscheint es nicht ausgeschlossen, einen Mann mit besonderen Führungsqualitäten
zwischen beiden Bereichen, zwischen Wüste und Kulturland, pendeln
zu sehen. Moses mochte das Geschick und die qualitäten haben zwischen
dem Regiment einer Großmacht und den frei schweifenden Elementen
der Wüste sich souverän zu bewegen und zu behaupten." Herrmann
schreibt Mose Sendungsbewußtsein zu, er sei ein Prototyp des "Richters",
des charismatischen Führers und noch mehr: als Mittler einer Gottesoffenbarung.
Für eine urtümlich lokale Bindung JHWHs spricht nicht nur der
Komplex der Gottesbergüberlieferung, sondern auch die Notiz eines
Landes der Schasu Jhw. Die Konsonantenfolge ist mit dem des Gottesnamens
weitgehend identisch. Dies macht es, so Herrmann, "wahrscheinlich, daß
mit dem Namen Jhw: auch der Gott JHWH in eine lokalen und ethnischen Zusammenhang
gehört, der eine längere Geschichte im Raume südlich Palästina
hatte."
2. Kritische Wertung der Überlieferungsgeschichtlichen Methode
Herrmann faßt seine Kritik an Noth wie folgt zusammen: Es kommt
zur Verselbstständigung der Methode Überlieferungsgeschichte,
so "daß historische und religionsgeschichtliche Fragestellungen bis
hin zum "Tode des Religionsstifters" der Gefahr durchgängiger Relativierung
ausgesetzt werden konnte... daß sie am Ende weniger die historische
Wissenschaft befördern konnten und können, sondern...hart an
die Grenze einer Geschichtsphilosophie heranführen...Dabei gerät
die erste Pflicht des Historikers in die zweite Linie, nämlich Quellen
auf ihre Wahrscheinlichkeit zu prüfen.... Die Überlieferung ist
bis zuletzt als das ernstzunehmen, was sie trotz ihrer eigenen Geschichte
nach wie vor beabsichtigt, nämlich Mitteilung von Geschichtstatsachen
zu bieten"
3. Lösungsvorschlag
Am Beispiel Mose in Midian soll dies geschehen. Herrmann stellt dazu
zwei Modelle der Überlieferungsgeschichte vor.
1. Noth der einen Weg der Subtraktion der übergreifenden Elemente
von den einmaligen Zügen der Darstellung geht, da dies durch
die Hand des Endredaktors geschehen und somit sekundär sei.
2. Herrmann'sches Modell. Dies "...stellt sich so dar, daß man
an die erste Stelle die innere Wahrscheinlichkeit eines historischen Zusammenhanges
setzt, der in der überlieferung sich spiegelt, wenn auch aufgefächert
in verschiedenen Darstellungsweisen und Dokumenten... Auf diese Weise läuft
die Überlieferungsgeschichte nicht Gefahr, bestehende historische
Zusammenhänge zu zerschneiden, sondern läßt den historischen
Möglichkeiten größeren Spielraum..."